Die Metaphysik des Wartezimmers.
Es riecht nach Desinfektionsmittel und abgestandener Luft, ein sensorisches Versprechen, dass alles, was hier passiert, klinisch und unpersönlich bleibt. Auf den Stühlen sitzen Gestalten, deren Namen ich nicht kenne, deren Geschichten ich nicht hören will. Sie alle blicken ins Nichts, oder in Zeitschriften, die irgendwann vor fünf Jahren jemand liegen liess.
Hier warte ich. Existiere ich. Die Minuten ziehen sich ins Endlose, während die Neonröhren an der Decke alles fahl und kränklich wirken lassen.
Niemand sagt, wie lange es dauert, niemand sagt, warum es so lange dauert. Aber alle warten. Das ist die einzige Regel. Im Wartezimmer bleibt jeder für sich. Gesichter, die nie miteinander sprechen, obwohl sie nebeneinander sitzen. Hier bin ich nur eine Nummer, ein Name, der irgendwann von einer Stimme aufgerufen wird, die so gleichgültig klingt, dass sie alles, was ich fühle, Lügen straft.
Das Wartezimmer macht mich machtlos. Ich kann nichts tun, um irgendwas zu beschleunigen. Kein Drängeln, kein Beschweren, kein Aufstehen, um einfach zu gehen. Denn was hinter der Tür liegt, ist immer wichtiger als das, was hier draussen geschieht. Der Arzt. Der Beamte. Die nächste Instanz. Ich bin ein Bittsteller, ein Spielball der Ordnung, der Bürokratie, der medizinischen Notwendigkeit.
Das Wartezimmer zeigt: Ich habe nichts unter Kontrolle, weder die Zeit noch das, was als Nächstes kommt. Ein Ort, an dem ich begreife, dass nichts wirklich in meiner Hand liegt. Ein Theaterstück ohne Bühne. Ich spiele mit, obwohl ich nie gefragt wurde. Bleibe sitzen. Wartend. Ausharrend.
Vielleicht ist es aber auch das Gegenteil, die Antithese zum Leben, das ich zu kennen glaube: ein Moment des Stillstands in einer Welt, die mich lehrt, dass Vorankommen alles ist. Doch hier gibt es kein Vor und kein Zurück, nur ein Jetzt, das sich ins Unendliche dehnt.
Ich warte auf den Arzt, den Bescheid, den nächsten Schritt. Auf den Moment, ab dem ich wieder Akteur meines eigenen Lebens sein darf. Doch bin ich das jemals wirklich? Oder ist dieses Ausharren die wahre Essenz meiner Existenz? Vielleicht ist das Leben selbst ein Wartezimmer und ich sitze geduldig auf einem harten Stuhl, in der Hoffnung, dass mich irgendwann jemand ruft.
Es gibt kein Entrinnen, und vielleicht ist genau das der Punkt: das Wartezimmer als Übung in Demut, ein Memento Mori in Neonlicht, das mich daran erinnert, dass auch mein Leben letztlich nichts anderes ist als ein Warten. Auf den Ruf. Auf das Ende. Auf den Anfang.
Dann irgendwann, vielleicht in fünf Minuten, vielleicht in fünf Stunden, wird mein Name gerufen. Und ich stehe auf. Als wäre ich der einzige Mensch im Raum.